Beim ersten Date mit meinem Jetzt-Freund standen wir vor seiner Lieblingspizzeria, über der seine besten Freunde in einer WG wohnen. Ich meinte, wir können ja „Hallo“ sagen, also klingelten wir. Niemand zuhause. Mein Da-noch-nicht-Freund zückte dann sein iPhone und öffnete die Wo ist? App. Verblüffung meinerseits. Auf dem Bildschirm sah ich lauter Gesichter aufpoppen, verteilt auf dem Stadtplan Wiens, manche bewegten sich, manche, wie seine besten Freunde, waren Burger essen. Als ich diese App auf seinem Bildschirm sah, auf der alle die ganze Zeit ihren Standort freigaben, wusste ich, dass Freundschaft in seinem Leben eine wichtige Rolle spielt. (Ich sollte recht behalten).
Gestern, also genau sechs Monate später, fragte er mich, ob wir beide unsere Standorte ebenfalls füreinander freigeben wollen. Das war für mich ein noch größeres Zeichen als die Leselampe, die er mir (ein bisschen widerwillig, aber dann doch irgendwie gerne) letzten Samstag für seinen Nachttisch gekauft hat (und ich die passende Glühbirne). Es ist jetzt scheinbar wirklich ernst mit uns. Doch abgesehen davon, dass ich mich über das Angebot freute und sofort damit einverstanden war, meinen Aufenthaltsort immer an ihn preiszugeben, wusste ich nicht, ob ich seinen auch immer wissen wollte. Ich kenne mich ja: wenn er mir auf WhatsApp nicht schreibt, würde ich in die App schauen, um zu prüfen, wo er ist und daraus irgendwelche Schlüsse abzuleiten versuchen, die wahrscheinlich gar nicht stimmen. Es ist wie mit Instagram früher, ein ständiges Auflauern, Überwachen, Warten. Hat dieser oder jener Mann meine Story geliked, geschaut, whatever. Wirklich whatever!
Ich bekam diese Woche eine Nachricht auf Instagram, die von mir hätte sein können, so sehr erinnerte sie mich an mein Verhalten vom letzten Jahr. Anstatt aktiv zu kommunizieren und Klarheit zu schaffen, interpretieren oder senden wir Zeichen, die uns langsam durchdrehen lassen. Wenn ich ein was sagen kann, dann dass das nicht mehr zeitgemäß und vor allem die Zeit nicht wert ist. Soll er mir seinen Standort freigeben? Eigentlich nein! Er soll mich lieber anrufen, wie sonst auch und sagen, was er tut, wie sonst auch.
Es ist zwei Tage später und ich bin das erste Mal abseits meines natürlichen Radius zwischen Arbeit und zu Hause unterwegs. Und hoffe, er sieht es. Hoffe, er fragt sich, was ich mache und warum. Alles nur ein Hoffen auf Aufmerksamkeit, weil ich mir selbst nicht ausreiche, typisch. Wo ist die Gleichgültigkeit geblieben, die ich bis vor Kurzem noch hatte?
Drei Tage später und ich bitte ihn, mir für Recherchezwecke, quasi eine Selbststudie, auch seinen Standort freizugeben. Es ist Freitagnachmittag und ich am Spazieren – und obsessiv die App öffnend. Zu meiner Verteidigung: ich wollte schon vorher dort spazieren, wo er zufälligerweise ausgerechnet ein Skatevideo drehen ist. Eh egal, denn sobald ich den Park, in dem ich nach Kirschblütenbäumen gesucht habe, aus Hier-sind-zu-viele-Menschen-Gründen schnell wieder verlassen habe, traf ich auf meinen Exfreund und seine Mama und ging mit ihnen Kaffeetrinken. Keine Zeit mehr zum Standortchecken. Nach der Verabschiedung rief ich ihn an. Wie sich herausstellte, war er wohl die ganze Zeit auf der anderen Seite des Cafés. Ich sagte, „Wozu hat man denn Wo ist?“ und lachte. Chance verpasst, uns das letzte Mal vor dem Wochenende zu sehen, denn …
Dieses Wochenende ist er nicht in der Stadt und doch weiß ich (bzw. sehe ich), dass er seit heute morgen bei seinem Bruder ist. Dass ich im Schlosspark Schönbrunn war und welche Route ich gelaufen bin, werde ich ihm wohl selbst erzählen müssen (da er nicht so eifrig am Stalken ist), wenn er anruft oder wieder da ist. Dass ich geweint habe, auch. Genauso, wie dass jetzt wieder alles okay ist. Gleich treffe ich mich mit einer seiner Freund:innen. Wo wir hingehen? Noch offen.
Es ist eine Woche später und wir haben beide gegenseitig die Standortfreigaben wieder beendet. Die Selbststudie hat ergeben, dass ich wohl irgendein Problem habe. 24 Minuten habe ich die App innerhalb von ein paar Tagen benutzt. 24 Minuten, die ich nie wieder bekommen werde; aber die mir eines gelernt haben: Vertrauen ist wichtiger als Kontrolle.